„Sensation peitscht Masse Mensch.“

Welche Sensation(en) das eher beschauliche Bonn in den 20er-Jahren aufweisen konnte, ist im historischen Lesebuch zu den 20er-Jahren in Bonn mit 24 Geschichten und 180 Abbildungen zu lesen, das die Bonner Geschichtswerkstatt, die seit Jahren in Bonn ehrenamtlich zur Alltagsgeschichte forscht, am 18.10.2024 veröffentlicht hat.

Die sprichwörtlichen „Goldenen Zwanziger“ Jahre hatten es in sich und auch Bonn erlebte bewegte Zeiten. Die rasante Entwicklung technischer Neuerungen, kulturelle und sportliche Großereignisse und die hoffnungsvollen Anfänge lebendiger demokratischer Strukturen waren wichtige Facetten einer neuen Aufbruchstimmung.

Doch neben solchen leuchtenden Ereignissen erlebte die angeblich so „beschauliche“ Stadt am Rhein auch Schattenseiten eines Jahrzehnts, das zunächst von brutalen Kriegsfolgen, den Auswirkungen der deutschen militärischen Niederlage und wirtschaftlicher Not geprägt war. Im Rheinland folgten erst mit dem Ende einer langen französischen Besatzung Jahre des Aufschwungs. Die Bevölkerung erlebte nun den Vormarsch der Moderne und Ereignisse, die als geradezu sensationell empfunden wurden. Und endlich konnte wieder gefeiert werden: eine spektakuläre „Jahrtausendfeier“, aufwändige Husarenfeste, das erste Beethovenfest nach Kriegsende! Bis schließlich neue wirtschaftliche und politische Krisen zu sozialen Konflikten und Gewalt auch in Bonn und seinem Umland führten und in das Elend der faschistischen Diktatur mündeten.

Diesen aufregenden Zeiten wurde das neue Lesebuch gewidmet. Dreizehn Autoren tragen dazu bei, in sieben Kapiteln mit 24 Beiträgen zahlreiche Themen der Bonner Stadtgeschichte in Erinnerung zu rufen.

So schrieb u.a. der Bonner General-Anzeigers am 3. November 1919:Bonn hat seine Sensation: ein großstädtisches buntes Theater.“ Gemeint war das neue Varieté „Die Schauburg“ der Brüder Adtorf zwischen Sandkaule und Cölnstraße. Großstädtisches Flair sei mit diesem Varieté nach Bonn gekommen, und Bonn brauche sich nicht mehr hinter den Großstädten verstecken.

Die Rheinische Zeitung berichtete am 17. Juni 1929 über eine Flugshow am Flughafen in Hangelar, die rund 15.000 Zuschauer besuchten: „Sensation peitscht Masse Mensch. Für etliche Stunden schweigt das Gerede über Dr. Richter und sein Geschick. Neues Erleben, Autos, Motorräder, Radler und Fußgänger, sie jagen dahin. Die elektrischen Bahnen stauen sich nur so. Jeder will rechtzeitig zur Stelle sein.“ „Bonn hat seine Sensation“, schreibt die Rheinische Zeitung euphorisch. Der Flughafen in Hangelar ist schlichtweg der „Bonner“ Flugplatz.

Zudem werden viele Bezüge zu Königswinter und Bad Honnef beschrieben wie, die französische Besatzung am Rhein, die Aktivitäten der rheinischen Separatisten 1923 oder die Jahrtausendfeier 1925 in Königswinter.

Von einem separatistischen Putschversuch über neue Lichtspiel- und Theaterereignisse, einen gefeierten Bonner Boxer oder Aufsehen erregende Skandale bis hin zu neuen Einblicken in das Milieu eines republikanisch-demokratischen „Reichsbanners“ entfaltet sich ein breites Spektrum.

Mit dieser Publikation setzt die Bonner Geschichtswerkstatt ihre erfolgreiche Reihe historischer Lesebücher fort. Bei den bisherigen Ausgaben standen Stadtteile wie Beuel, die Nordstadt oder auch Bad Godesberg im Vordergrund. Im Unterschied dazu sind es dieses Mal die Besonderheiten einer speziellen Epoche und ihre Auswirkungen auf die ganze Stadt und ihr Umland, die das Zentrum der Erzählungen bilden.

Für Beueler dürfte das historische Lesebuch, „Die Beueler Seite ist nun einmal die Sonnenseite mit 191 Seiten und ca. 110 Abb. Für 12,40 € interessant sein. Vielleicht wäre das 1996 erschienene Buch, ein ideales Weihnachtsgeschenk. Beschrieben ist dort die wirtschaftliche und politische Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert sowie der Gegensatz zwischen Bonn und Beuel.   

In sechs Kapiteln heißte  Das 19. Jahrhundert: Zwischen Tradition und Aufbruch. Wissenswertes wird zum Separatistenputsch in Beuel veröffentlicht. Ausführlich wird auf die Arbeit und Industrie mit dem Gewerbe der Wäscherinnen und der Weiberfastnacht mit Schrubben und Schunkeln – Beuelerinnen und ihre Bütt eingegangen. Über Wohnen/Umwelt wird mit dem Hochwasser in Beuel: „Ein schaurig-schönes Schauspiel“ beschrieben.

Und dass das Beueler Freizeitvergnügen lebt, erfährt der Leser zur Tradition einer Großkirmes:
„… dann war Pützchens Markt nicht mehr weit“, zum Beueler Strandbad: „Sittenlosigkeit und Nacktkultur“ oder über das erste Kino in Beuel: „… damit nicht durch eigene Schuld alles Geld nach Bonn verschoben wird.“

Mit ihrem Ausblick: Große Visionen – leere Kassen – Beuel auf dem Weg ins 21. Jahrhundert lagen die Autoren bereits damals schon richtig.

Das aktuelle Buch: 228 Seiten, 180 Abbildungen, ISBN: 978-3-00-079165-9;
Preis: 22,– Euro, ab sofort im Buchhandel erhältlich; Informationen: www.bonner-geschichtswerkstatt.de;
E-Mail: info@bonner-geschichtswerkstatt.de, Tel.: 0228 / 7077 520, und in allen Bonner Buchhandlungen und in Oberkassel bei Max und Moritz, Adrianstr. zu erwerben

Das Redaktionsteam der Geschichtswerkstatt stellte das neue Buch zu den Zwanziger Jahren am Bonner Rathaus vor. Elmar Scheuren, Norbert Alich, Sabine Harling und Dieter Remig (v. li.). Foto: Norbert Volpert
Titelfoto – Die Beueler Seite ist die Sonnenseite. Foto: Bonner Geschichtswerkstatt
Programm der Jahrtausendfeier 2025 in Königswinter. Quelle: 7-Museum/Heimatverein Siebengebirge.
Anzeige in der Rheinischen Zeitung vom 11. Juni 1930. Foto: Dieter Remig
Münzen Jahrtausendfeier. Foto: Klaus Schlotterose
Poststadion vor dem Abriss. Foto: Norbert Volpert
Bonner Marktplatz